12 – Naturgarten gegen Verzweiflung
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12 – Naturgarten gegen Verzweiflung

31. März 2025

Naturgarten gegen Verzweiflung

Vor gut fünf Jahren hatte mich die Verzweiflung über den Schwund der Tierwelt mit voller Wucht erwischt: Trauer und Angst wegzudrücken ging nicht mehr, ich musste mich diesen Gefühlen stellen. Und es war zutiefst erleichternd und hat eine Menge Energie freigesetzt, die ich zuvor dafür verbraucht habe, die Tür zur inneren Rumpelkammer zuzuhalten. Mein Buch „Die Blumenwiese, das Fingerkraut und die Rettung der Welt” erzählt mehr über diesen Prozess und wie er mich dazu bewog, meinen Garten gezielt „viecherfreundlicher” zu machen.

Seitdem bin ich überzeugt: Dabei zu helfen, eine Fläche naturnäher zu gestalten, ist eines der wirksamsten Mittel gegen Weltschmerz. Alles scheint schlechter zu werden, von der allgemeinen Sicherheitslage, dem Zustand der Bahn, dem Umgang miteinander bis hin zum Zustand der Natur – und dann etwas aufzubauen, das mehr Lebendigkeit mit sich bringt, hat etwas ungemein Tröstliches.

Um dazu auch eine fachlich versierte Ansicht zu bekommen, habe ich mit Rike Wagner gesprochen. Sie ist psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis im Baden-Württembergischen Rot an der Rot und engagiert sich bei den Psychologists/Psychotherapists for Future (psy4f.org).

Naturmodul Marke Eigenbau: ein Steinhaufen mit „Vordach“ und ein paar Hauswurzen, darunter gefindet sich eine mit morschem Holz gefüllte Grube, außen rum eine mit Totholz angereicherte Sandfläche. Das ganze soll als Refugium und potenzielle Brutstätte für Wildbienen, Käfer, Amphibien und Reptilien dienen, aber in meinem Eifer habe ich wohl zuviel gewollt. Jedenfalls gibt es seit der Anlage vor gut drei Jahren keine Hinweise darauf, dass die Fläche genutzt wird – es hat nicht mal eine Katze die Sandfläche als Klo genutzt.

Frage: Von Menschen, die wegen des Zustands der Natur oder der Gesellschaft niedergeschlagen oder sogar verzweifelt sind, hört man immer wieder: „Aktiv zu werden, hat mir geholfen.“ Darf man annehmen, dass dies für die meisten Menschen ein guter Weg ist?

Rike Wagner: Ja, absolut. Deshalb ermutigen wir von den Psychologists/Psychotherapists for Future e.V. die Menschen auch: Tu was! Schau, was für dich möglich ist und finde etwas, das zu dir passt. Denn aus der Psychotherapie wissen wir: Wenn Menschen sich zutiefst hilflos und ohnmächtig fühlen, besteht die Gefahr, in eine psychische Erkrankung zu rutschen, zum Beispiel eine Depression zu entwickeln. Das kann man sogar künstlich erzeugen, das Konzept wurde als „erlernte Hilflosigkeit“ bekannt. Zu glauben, absolut nichts zur Verbesserung einer Situation beitragen zu können, ist ein tödliches Gefühl.

Natürlich kann man umgekehrt auch hyperaktiv werden und sich bis zum Burnout verausgaben. Um das zu vermeiden, braucht es gute Strategien der Selbstfürsorge.

Wie ist das Wirken im Garten als „aktiv werden“ einzuordnen?

Es ist ein Tun, das sehr konkret ist und mit allen Sinnen zu erfassen – das macht es so bedeutsam und auch heilsam. Zudem kann die Arbeit in der Natur ein gutes, ausgleichendes Mittel sein, auch weil diese vor allem körperliche Tätigkeit die persönlichen Grenzen viel eher und konkreter rückmeldet als rein mentale oder organisierende aktivistische Arbeit.

Gartenarbeit wird schon lange auch therapeutisch genutzt, unter anderem bei Sucht- und psychotischen Erkrankungen, die mit vielen Ängsten verbunden sind. Auch die bewusste Auseinandersetzung mit dem Artensterben und der Klimakatastrophe geht naturgemäß mit vielen Ängsten einher, doch es ist uns von Psychologists/Psychotherapists for Future e.V. ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei sogenannter „Klimaangst“ nicht um eine pathologische Reaktion handelt:  Ängste wegen des Artensterbens und der Klimaveränderungen fußen auf evidenzbasierten und real bedrohlichen Tatsachen. Angst kann dazu motivieren, aktiv zu werden, ja, wir brauchen sie zur Lösungsfindung letztlich sogar. Doch um handlungsfähig zu bleiben, ist es auch wichtig, uns von unserer Angst nicht überwältigen zu lassen, denn dies würde unsere Problemlösungskompetenz und Kreativität blockieren. Vor diesem Hintergrund kann man sich den therapeutischen Effekt von Gartenarbeit zunutze machen. Sie wirkt strukturierend und beruhigend und schafft einen Rahmen, in dem die eigenen Gefühle häufig besser aushaltbar sind: Man ist in der Natur aktiv, in der alles seinen Platz hat – auch die eigene, vielleicht aufgewühlte Innenwelt.

Für einen Naturgarten gilt das vermutlich besonders, denn dort wird viel mehr Eigendynamik geduldet und das Unordentliche wertgeschätzt, ja sogar erwünscht.

Genau: Je vielfältiger ein Garten ist, umso mehr symbolisiert er, dass da Raum und Platz für alles ist. Unbewusst sendet das die Botschaft zurück, dass das für uns Menschen ebenso gilt.

Einen Naturgarten anzulegen oder andere Flächen naturnah zu pflegen, scheint tatsächlich besonders hilfreich gegen Verzweiflung zu sein. Vielleicht, weil man in einer Zeit, in der so vieles schlechter wird, etwas Neues erschafft, das obendrein mehr Lebendigkeit bringt. Wie sehen Sie das?

Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Grundsätzlich ist es immer besonders heilsam, etwas mit eigenen Händen zu erschaffen, dadurch Selbstwirksamkeit zu erleben und zu sehen, dass etwas aus der eigenen Kraft entsteht. Das macht auch den therapeutischen Effekt aus, wenn man zum Beispiel in der Ergotherapie einen Korb flicht. Der Naturgarten geht aber darüber hinaus, denn dort wirkt ja noch etwas Größeres mit als die eigene Selbstwirksamkeit: Das Leben an sich. Das ist eine Steigerung und hat zugleich etwas Beruhigendes: Es hängt nicht alles nur an mir. Da ist eine Kraft, die es wachsen lassen will und dabei mitunter seine Eigendynamik entwickelt, so dass die Petersilie dann plötzlich an einem ungeplanten Ort gedeiht. Das wahrzunehmen, erhöht das Vertrauen darin, dass sich das Leben schon seinen Weg suchen und fortbestehen wird. Die damit verbundenen Gefühle von Dankbarkeit und positiver Demut sind regelrecht Balsam für die Seele, sie beruhigen und erfreuen uns. Wir fühlen uns verbunden und vielleicht sogar voller Liebe. All dies wirkt Verzweiflung, Angst und Ohnmacht sehr effektiv entgegen.

Und dann wäre es wieder sinnvoll und wichtig, die so gewonnene Kraft dafür zu nutzen, über den Garten hinaus aktiv zu werden. Das kann bedeuten, für Artenvielfalt und Klimaschutz Petitionen zu unterstützen, auf Demos zu gehen oder sich politisch zu engagieren. Doch meiner Erfahrung nach ist es noch entscheidender, sich im persönlichen Umfeld zu zeigen und auszudrücken, wie viel uns die Pflanzen und Tiere bedeuten, dass uns der Umgang mit unseren Lebensgrundlagen Angst macht und wir sie beschützen möchten.

Bei der Frage, welche Rolle wir als Menschen für die Erde einnehmen, gibt es ja zwei sehr gegensätzlichen Positionen: Wir als Herrscher über die Natur oder aber als Spezies, die zum Wohle aller anderen besser verschwinden sollte. In indigenen Traditionen sind mir solche extremen Sichtweisen noch nie begegnet. Hier scheint den Menschen immer die Rolle zugedacht zu sein, sich achtsam um das Land und seine Lebewesen zu kümmern – wie ein Naturgärtner. 

Ja, die Eigendynamik des Lebens im Garten zu erfahren, holt häufig auf gutmütige, liebevolle Weise auf den Boden der Tatsachen zurück – falls man geglaubt hat, die Natur beherrschen zu können. Zugleich erzeugt es Zuversicht zu spüren: Ich gehöre hier ebenfalls dazu und kann die Bedingungen für Pflanzen und Tiere besser machen. Es ist gut, dass ich da bin.