09 – Wildpflanzen bringen mehr!
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09 – Wildpflanzen bringen mehr!

19. Februar 2025

Die Originale haben es einfach besser drauf!

Wer Bienen, Schmetterlingen und anderen faszinierenden Insekten etwas Gutes tun will, muss auf heimische Pflanzen setzen – so weit, so bekannt. Mit Exoten können meist nur wenige Tiere etwas anfangen. Doch auch im direkten Vergleich zwischen Wildformen und ihnen sehr ähnlichen Zuchtvarianten haben die Originale einen viel größeren Nutzen für die Tierwelt. Das zeigte eine Studie der Biologin Doris Lerch von der Technischen Universität Darmstadt.

In mehreren Beeten pflanzte sie je sechs Exoten, heimische Wildpflanzen und ihnen ähnliche verwandte Arten und zählte systematisch die Blütenbesuche von Insekten. Danach entfielen 67 Prozent der Blütenbesuche auf heimische Wildpflanzen, 24 Prozent auf die ihnen ähnlichen Arten und nur 9 Prozent auf die Exoten. Ähnliche Ergebnisse zeigte die Analyse der Fraßspuren: An den Originalen wird deutlich lieber geknabbert. In einem Telefongespräch hat Doris Lerch mir mehr über die Studie erzählt.

Frage: Nach welchen Kriterien haben Sie die Pflanzen ausgewählt?

Doris Lerch: Als Exoten haben wir Pflanzen genommen, die hier in Darmstadt vom Grünflächenamt tatsächlich ausgebracht werden. Bei den heimischen Pflanzen haben wir solche gewählt, bei denen es eine der Wildform sehr ähnliche Sorte gibt. Ein Beispiel für ein solches Pärchen waren die heimische Wiesenschafgarbe, Achillea millefolium, und die bis auf die Farbe sehr ähnlich aussehende Hellgelbe Schafgarbe, Achillea clypeolata ‘Moonshine’. Sie wird oft genutzt, weil sie so schön gelb leuchtet, bringt den Insekten aber gar nichts.

Die Pflanzen waren also ähnlich genug, dass sie in der Theorie gleich gut nutzbar gewesen wären – also nicht etwa gefüllte Blüten hatten.
Genau. Den Beweis liefert die Honigbiene, die alle angebotenen Pflanzen ziemlich gleichmäßig besucht hat, auch die Exoten.

Oben rechts die Wildform der heimischen Wiesenschafgarbe Achillea millefolium, links die bis auf die Farbe sehr ähnlich aussehende Hellgelbe Schafgarbe, Achillea clypeolata ‘Moonshine’.

Im unteren Bild ist die heimische Wildform der Witwenblume (Knautia arvensis) links zu sehen, rechts die Sorte namens Mazedonische Witwenblume, Knautia macedonia ‘Mars Midget’.

Leider hat auch die schöne Mazedonische Witwenblume, Knautia macedonia ‘Mars Midget’, sehr schlecht gegenüber der heimischen Witwenblume (Knautia arvensis) abgeschnitten. Das hätte ich nicht gedacht, als ich sie gepflanzt habe.
Wie deutlich der Unterschied ist, hat mich auch überrascht. Selbst wenn man die tatsächlichen Blühflächen der einzelnen Pflanzen akribisch ausmisst, ändert sich nichts am Ergebnis.

Haben Sie in der Studie „besucht“ mit „genutzt“ gleichgesetzt?
Besuche wurde nur dann gezählt, wenn es eine Interaktion mit der Blüte gab. Hatte sich das Insekt nur an den Rand gesetzt und vielleicht ausgeruht oder Sonne getankt, galt das nicht. Ob das Tier bei einer Interaktion wirklich einen Nutzen erzielen konnte, also zum Beispiel Nektar aufnehmen oder Pollen sammeln, ist damit allerdings nicht unbedingt gesagt.

Sie konnten in der Studie auch bestätigen, dass Honigbienen wenig wählerisch sind. Ist das eine gute Nachricht?
Man muss unterscheiden. Die Honigbiene ist kein heimisches Wildtier und inzwischen so hochgezüchtet, dass in Deutschland mit halb so vielen Völkern wie etwa 1950 doppelt so viel Honig produziert wird. Dafür braucht sie aber auch entsprechend viel Nahrung! Zudem haben in den vergangenen Jahren viele wohlmeinende Menschen mit der Imkerei angefangen, um dem Insektensterben etwas entgegenzusetzen. Doch angesichts der Tatsache, dass wir viel zu wenig naturnahe Blühflächen haben, schaffen Honigbienen einen immensen Konkurrenzdruck für die spezialisierteren Wildbienen und können zudem Viruserkrankungen übertragen.

Doch noch häufiger als die Wildbienen werden all die anderen Insekten vergessen, die ebenfalls heimische Blüten brauchen, all die Fliegen- und Wespenarten. Für sie sind zum Beispiel Doldenblütler wie die Wilde Möhre oder Fenchel extrem wichtig. Interessanterweise sind es gerade diese Nicht-Bienen-Blütenbesucher, die für die Landwirtschaft besonders nützlich sind: Nicht nur als Bestäuber, sondern auch für den biologischen Pflanzenschutz. Mit artenreichen Ackerrand-Blühstreifen aus möglichst vielen heimischen Pflanzen, der Lebensraum für die natürlichen Feinde der Schaden verursachenden Insekten schafft, können pro Jahr viele Millionen Euro an chemischen Pflanzenschutzmitteln eingespart werden. In einer amerikanischen Untersuchung wurde der Beitrag zum Pflanzenschutz mit 4,5 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Stattdessen sind in allen Bundesländern außer Sachsen-Anhalt aktuell Saatgutmischungen für Blühstreifen empfohlen, die zu 80 Prozent aus nicht-heimischen Pflanzen bestehen.

Oben: Eine sinnvoll komponierte Saatgutmischung für eine heimische Blumenwiese ist auch nach vielen Jahren noch blütenreich, sofern sie entsprechend gepflegt wird. Das heißt: zwei Mal im Jahr mähen (meist) und das Mahdgut abräumen (immer und unbedingt).

Unten: Auf der Vergleichsfläche hat das konkurrenzstarke Rote Straußgras (Agrostis capillaris) die Fläche fast völlig übernommen.
Fotos: Doris Lerch

Moment, gibt es nicht Vorschriften, wonach man nur gebietsheimisches Saatgut einsetzen darf, wenn man in die Fläche geht?
Ja, die gelten bei Renaturierungen und Naturschutzprojekten, aber nicht in der Landwirtschaft. Das hochwertigere Saatgut ist eben teurer. Aber die Ergebnisse zum Biologischen Pflanzenschutz zeigen ja, dass sich diese Kosten relativieren. Zumal die ausgewogen komponierten Mischungen über Jahrzehnte stabil bleiben, wenn sie richtig gepflegt werden. Wir durften den Unterschied des in Hessen vorgeschriebenen Saatguts und einer sinnvollen heimischen Mischung auf einer aktuell nicht benötigten Ackerfläche einer Landwirtin testen, und das Ergebnis ist frappierend. Auf der nicht-heimischen Fläche wuchs nach zwei Jahren fast ausschließlich Rotes Straußgras (Agrostis capillaris), von der ausgebrachten Blühmischung war fast nichts mehr zu sehen.

Geht es bei den vorgeschriebenen Mischungen nur darum, dass sie billiger sind?
Nein, sie wurden vor allem auf die Bedürfnisse der Honigbiene konzipiert. Doch schon die Bestäubung schafft diese allein gar nicht – unter anderem, weil einige Wildbienen bei viel niedrigeren Temperaturen aktiv sind und so bei Kälteeinbrüchen über ganze Jahresernten entscheiden können. Die Bestäubungsleistung der Gehörnten Mauerbiene (Osmia cornuta) ist zudem rund fünf Mal so hoch wie die der Honigbiene. Und Kirschen zum Beispiel werden zu rund 50 Prozent von Fliegen bestäubt. Wenn man den Anteil artenreicher Insektenlebensräume in der Umgebung der Bäume um 20 bis 50 Prozent erhöht, bekommt man 150 Prozent mehr Fruchtansätze. Und wie gesagt: Solche Flächen mit vielfältigen heimischen Wildpflanzen locken auch die Gegenspieler von Schaden verursachenden Insekten wie dem Apfelwickler an.

Das wäre auch für Besitzer von Streuobstwiesen interessant. Wie sollten die vorgehen, um möglichst schnell zu einer vielfältigeren Wiese zu kommen?
Eine Pflegeumstellung allein kann in manchen Fällen schon reichen. Also mindestens zwei Mal jährlich mähen und vor allem das Mahdgut abräumen, keinesfalls mulchen. Das dauert jedoch recht lange und oft reicht es nach Jahren der falschen Pflege auch nicht. Wir empfehlen dann, in der Mitte einen zwei bis drei Meter breiten Streifen im Sommer umzubrechen und im Herbst mit einer reinen Blühmischung heimischer Pflanzen einzusäen – das gibt dem Ganzen mehr Schub.

Titel der Studie von Doris Lerch
Lerch, D., Blüthgen, N., & Mody, K. (2024). Home sweet home: Evaluation of native versus exotic plants as resources for insects in urban green spaces. Ecological Solutions and Evidence, 5(3), e12380.

Link: https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/2688-8319.12380